Richterpersönlichkeiten

Der preußische Justizminister Kerrl 1933 im Referendarlager bei der Besichtigung des Galgens mit einem aufgehängten Paragraphen - "humoristische" NS-Symbolik: das Gesetz wird aufgehängt, soll heißen: es gilt nicht mehr ...
 
                                            Das Ende des Rechtsstaates: Preußischer Justizminister Hanns Kerrl mit Paragraphen am Galgen (1934)

Im heutigen sog. Rechtsstaat1 ist die Justiz dem gegenüber eher eine "stille Gewalt" (Lautmann). Nachfolgend soll die Struktur des deutschen Justizwesens untersucht werden:

1. Die Person des Richters spielte schon immer eine - mehr oder weniger - wesentliche Rolle im Entscheidungsprozess. 

- Ludwig Bendix, als (jüdischer) Rechtsanwalt 1907 bis 1933 in Berlin tätig, kam in seiner Schrift "Zur Psychologie der Urteilstätigkeit des Berufsrichters" (1968, 127ff) zur (eigentlich banalen) Erkenntnis, daß das richterliche Verstehen abhängig ist von Sympathie und beeinflußt vom Geschlecht und Alter. Ergänzen könnte man noch manches, etwa Elternhaus ("Überich") und Karrieredrang der jeweiligen Richterpersönlichkeit.

- Die Soziologie (Kaupen, Dahrendorf) förderte zutage, daß sich Richter besonders aus Beamtenfamilien rekrutierten. Für sie Spruchpraxis bedeutsamer dürfte das Rollenverständnis des Richters, hier v. a. der Grad seiner Einbindung in das institutionell angelegte System, seine Teilnahme an Seilschaften und seine persönlichen Präferenzen - und nicht zuletzt: persönliche Vorurteile gegen die eine oder andere Partei - sein. 

Rüdiger Lautmann ermittelte in einem wohl einzigartigen Forschungsprojekt (verdeckte (?) Teilnahme als Beobachter an Beratungen an Kollegialgerichten) Determinaten, die außerhalb des geforderten rationalen Entscheidungsprozesses liegen (Justiz, von innen betrachtet, in: Krim.Journ. 1970, 141-167); Justiz - die Stille Gewalt, 1972). Weitere Aufschlüsse über den einzelnen Richter würden dissenting votes ergeben können, die jedoch in Deutschland unzulässig sind, ausgenommen das BVerfG (§ 30 Abs. 2 BVerfGG). Deutsche Kollegialrichter bleiben also in bequemer Anonymität.  
  
- Die Psychoanalyse (Alexander/Staub; Goreta) mutmaßte, daß Rechtsberufe unbewußt von Personen mit stärker präsenten anal-sadistischen Zügen gewählt werden. Zu der Tatsache, daß Vorprägungen der Persönlichkeit das Streben zum Richteramt, das zugleich Macht und Sicherheit verspricht, mitbestimmen tritt noch die Prägung im Amt des professionellen Entscheiders über menschliche Schicksale. Charakteristisch ist die Neigung zur Flucht vor persönlicher Verantwortung. Schaltet ein Richter unvermittelt einen psychiatrischen Sachverständigen bei - subjektiven(!) - Zweifeln an der Prozeßfähigkeit ein, drückt er sich vor persönlicher Verantwortung. Denn Verstehen und Beurteilen einer Partei gehört zu der souveränsten Tätigkeit des Richters, "wenn er diese Aufgabe ohne Sachverständigen nicht leisten kann, so kann er keine menschliche Handlung verstehen und beurteilen." (Franz Alexander / Hugo Straub 1929, in: Psychoanalyse und Justiz, 1971, S. 222, 264). 
Diese Feststellung dürfte nirgendwo so zutreffend sein, wie bei der Beurteilung eines sog. Rechtsquerulanten. Zwar wendete Witter, unter Berufung auf Kisker, gegen das Verstehens-Kriterium zu Recht die subjektive Gebundenheit des Verstehens ein: "Das Quantitative und Qualitative erscheinen hier in einer polar skalaren Ordnung mit einer subjektiv bestimmbaren sehr breiten, verschwimmenden Umschlagzone." Dann jedoch meint Witter, hierzu widersprüchlich: Das Stellen der Sinnfrage, insbesondere die die Frage nach der Adäquatheit oder Inadäquatheit des Fühlens und Denkens (die Seinsweise), hülfe weiter (Witter, in: FS für Kurt Schneider, 1962, 297).
Die Juristen (als Vertreter der Sollenswissenschaft) sprechen hier von dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Derartige Fragestellungen offenbaren den instrumentelle Ausrichtung psychiatrischer Black-Box-Lehren mit dem Ziel der Kategorisierung und sozialen Exkludierung.

2. Wer wählt die Richer? dazu: Zitatensammlung (Neskovic)
Es versteht sich, daß das Wahlverfahren über die personale Qualität des einzelnen Richters mitentscheidend ist. Das geltende Wahl/Beförderungs-Verfahren läßt inmsbesondere auch aus der Sicht des Rechtsunterworfenen Bürgers zu wünschen übrig. Es ist zwischen Kritik aus eigenen Reihen und Kritik von außen zu unterscheiden.

a) Für die obersten Gerichtshöfe des Bundes ist Grundlage das Richterwahlgesetz des Bundes. Gegen das Postengeschachere regte sich jüngst Kritik und Widerstand aus Richterkreisen, siehe Spiegel 25/2015, S. 53. 

b) Auch in den Bundesländern steht es mit der Richterauslese nicht zum besten, hier bestimmt die Obrigkeit, und damit die gerade herrschende Partei, siehe das Volksbegehren für eine unabhängige Justiz in Bayern, verständlicherweise inszeniert von der kleinen FDP, s.a, die akustischen Erläuterungen des BFG dazu.

c) Schließlich spielt die in Deutschland nach Posten gestaffelte Richterbesoldung für die innere Unabhängigkeit eine Rolle. Auf die Idee, einen Einheitsbesoldung - wie in Italien (!) - zu fordern, ist keine einzige deutsche Richterorganisation bislang gekommen. Wenn selbst die nrv den Zusammenhang von "angemessener" Gehaltshöhe und Unabhängigkeit betont, so ist dies ein Armutszeugnis. Der Verf. machte einschlägige Erfahrungen in gleicher Sache an einem italienischen und einem deutschen Gericht.Eine Einheitsbesoldung wäre der wichtigste Garant für die Qualität der hiesigen Rechtsprechung. Postenschiebereien und Schielen auf Beförderung bewirkt das Gegenteil und würde der überkommende Neigung zur Subordination entgegenwirken. Deutsche Richter werden bekanntlich ohnehin besser besoldet als vergleichbare Beamte. Dies hält manche nicht davon ab, lukrative Nebentätigkeiten auszuüben (bei gleichzeitiger Jammerei über Überlastung) - siehe dazu Verordnung 1Verordnung 2, kommentiert  (Verein gegen Rechtsmißbrauch) sowie, exemlarisch, ein Spiegel-Bericht.

Während in England ein kompliziertes Richter-Wahlverfahren unter Beteiligung der Rechtsanwaltschaft stattfindet, was zur Folge hat, daß kaum ein Richter jünger als 40 Jahre ist, während in Italien alle Richter gleich besoldet werden, um Karriereverhalten und Seilschaften entgegen zu steuern, ist der deutsche Richter/Staatsanwalt - nach dem 2. Examen vor dem zur Exekutive zählenden Justizprüfungsamt - beamtet und wird befördert, weshalb auch zwischen den Amtswaltern Konkurrenz herrscht, die gelegentlich zu skurrilen Entgleisungen - Psychiatrisierung eines Kollegen - führt, siehe einen Fall dieserart bei Pöhl, dort Seite 98f.

Ein solches obrigkeitsstaatliches Relikt - hierzu zählt auch die fast einzigartige Weisungsunterstelltheit des deutschen Staatsanwalts - zieht naturgemäß nicht nur bestimmte Typen an und formt sie, sondern produziert den allbekannten Corpsgeist, der weit wirkungsmächtiger ist als die für alle monopolistische Berufe typische Krähentheorie. Die Verzahnung zwischen Richter und Staatsanwalt beginnt in der Ausbildung und setzt sich fort, indem ein Staatanwalt Richter werden kann oder umgekehrt. In der Mehrzahl der Europäischen Länder haben die Staatsanwälte Richterstatur, sie sind also nicht weisungsunterstellt, siehe folgende Grafik:
Kaum jemand hat denn auch bislang kritisch hinterfragt, daß in der BRD Richter und Staatsanwälte im Verbund organisiert sind (Beispiel) und damit geradezu beweisen, daß die Gewaltenteilung gewissermaßen aufgehoben ist.Immerhin: es wird diskutiert, ob Generalstaatsanwälte weiterhin politische Beamte sein sollten ... 

3. Korrekturmechanismen
In beiden Rechtssystemen - Strafprozeß und Zivilprozeß - verfügt der Richter über eine kaum begrenzte Entscheidungsmacht. Die Systeme unterscheiden sich in folgendem: Während der Verteidiger im Strafrecht i. d. R. durch Konfrontation Erfolge zugunsten des Angeklagten verbucht, lernen Rechtsanwälte im Zivilprozeß sehr schnell angepaßtes, kritikarmes Verhalten. Der unerfahrene Mandant erlebt allmählich seinen Rechtsanwalt zunehmend als Jasager - der Mandant wechselt, der Richter bleibt! Rechtsanwälte wirken somit als - erwünschter - Filter, insbesondere in Fällen mit Anwaltszwang (den es z. B. in der Schweiz nicht gibt).

Wird der deutsche "Richterkönig" von seiner eigenen Wichtigkeit berauscht, geht ihm das Gefühl dafür, daß seine Macht nur geliehenen ist, vollends verloren, dies umso mehr, wenn zutrifft, was der Strafverteidiger Klaus Eschen im Kursbuch 40, Seite 103 berichtet: "Der größte Teil der Richter... waren kleinliche, ungebildete, gesellschaftlich und politisch desorientierte, von Lob und Tadel der Vorgesetzten abhängige, verklemmte Bürokraten."  Es wundert daher auch kaum, daß diese Problematik kaum Gegenstand interner Diskussion ist: das herrschende System ist personell weitgehend im Gleichklang. Justizjuristen genießen aufgrund der Erfahrungen im Dritten Reich noch verstärkte Unabhängigkeit. In der Folge der 68er Bewegung wurde - selbst im Schulunterricht4 - die Frage nach der "unpolitischen Justiz" gestellt. Intern wr dies innerhalb der Richterschaft indes für die Gegenwart kein Thema, politische Justiz wurde als historisches5 Phänomen betrachtet.

Für den Rechtsunterworfenen kann sein gesamtes Vermögen und mehr auf dem Spiel stehen. Da hilft es ihm nichts, wenn der Insider Theo Rasehorn Alternativen herbeischreibt ("Die Justiz als Theater" in: Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Bd. IV, 1980, 328ff) und noch weniger hilft es, wenn der Berliner Richter Rüdiger Warnstädt den Gerichtsalltag als als Alleinunterhalter vorführt.

Korrekturmechanismen wären Richterablehnung und Strafverfolgung von Richtern wegen Rechtsbeugung. Beide Institute werden indes vom System äußerst restriktiv gehandhabt. Die Dienstaufsicht beschränkt sich auf den äußeren Bereich. So verbietet das Dogma der richterlichen Unabhängigkeit jegliche Teilnahmeverpflichtung an Richterfortbildungen. Der Diskurs über richterliche Befangenheit und Rechtsbeugung blieb im akademischen Elfenbeinturm, unverändert wird die richterliche Praxis von obrigkeitsstaatlichem Fühlen und Denken beherrscht. Das Strafmaß gem. § 339 StGB liegt so hoch, daß sich Richter gleichsam im rechtsfreien Raum bewegen können (siehe dazu Schroeder) - mit der Folge, daß Strafanzeigen gegen Richter mit der Begründung keine Folge gegeben wird, daß aufgrund der "Sperrwirkung gegenüber anderen Strafnormen" nur "elementare Verstöße gegen die Rechtspflege" zu verfolgen sind. Kommt aber doch einmal - selten genug - ein elementarer Verstoß in Betracht, so wird gar nicht weiter ermittelt, wenn das zu erwartene Strafmaß unterhalb der Mindeststrafe von 1 Jahr liegen würde.

4. Selbst- und wissenschaftliche Fremdkritik 
Somit wird auch die weitgehende Abwesenheit kritischer Selbstanalyse verständlich, die sich weder im konservativen Deutschen Richterbund bzw. in dessen Richtervereinen6, noch in den progressiveren Fraktionen der Neue Richtervereinigung (immerhin wurde in der NRV jüngst eine neue Fachgruppe „Psychologie und Recht“ gegründet) oder dem Richterratschlag findet. Auch die sich kritisch verstehende Zeitschrift "Betrifft:JUSTIZ", die sich in kaum einem juristischen Seminar findet, dient mit ihrer bescheidener Auflage vor allem der Selbstdarstellung. Und die "Kritische Justiz" hat ihre 70er-Jahre-Glanzzeit, als "links" zu sein "in" war, hinter sich. Dann gibt es noch das Periodikum "Verdikt" der gewerkschaftlich organisierten Richter und Staatsanwälte. Ein Wiederaufleben des Republikanischen Richterbundes sucht man vergebens.

Das "Forum Justizgeschichte", immerhin interessierten Laien geöffnet, gelangte auch unter seinem Gründer Helmut Kramer nur selten zu aktuellen Bezügen. Immerhin öffnen sich diese Foren gelegentlich externen - freilich nur renommierten - Justizkritikern, etwa Rolf Lamprecht, dessen umfassender Essay "Die Richterperson als Rechtsquelle" (Betrifft:JUSTIZ, Nr.81 (2005), 314)sich allerdings auf die Diskussion rechtsphilosophischer Literatur beschränkt; das Unterbewußte, aber auch das politische Wollen wurde allenfalls gestreift. Lamprechts Lieblingsvokabel "déformation professionelle" zeigt, daß sein Fokus auf die Prägung durch den Beruf liegt. Tunlichst vermeidet Lamprecht die kaum minder bedeutsame Fragestellung: welcher Typus strebt zum Jurastudium und danach zum Richteramt? Würde man eine Persönlichkeitserhebung einer repräsentativen Stichprobe deutscher Richter und Staatsanwälte etwa nach der F-Skala durchführen, wäre sehr wahrscheinlich der von Adorno herausgefilterte autoritäre Typus der am meisten verbreitete. Adorno stützt sich auf Erich Fromm, demzufolge der Ödipusmythos (in Abwandlung des Freud'schen Ödipuskomplexes) ein Symbol der Rebellion des Sohnes gegen die Autorität des Vaters in einer patriarchalischen Gesellschaft ist. Ein Residuum des Patriarchats dürften heute noch die studentischen Corps sein, in denen Juristen immer noch besonders stark7 vertreten sein sollen, eine Einschätzung, die folgende Anfrage  widerspiegelt. 

Der einzige Richter, der sich über den "Querulanten" verbreitete, war Ulrich Vultejus, der ein Querulanten-Bild bemühte, welches nurmehr exakt dem Klischee entsprach, das die Literatur bereitstellte. Fragen die Interaktion betreffend stellte Vultejus nicht, somit blieben auch diejenigen Fälle außer Betracht, in denen Rechtsunterworfene im Verlaufe ihrer "Justizkarriere" durch die ungeschickte oder gar parteiliche Prozeßleitung erst zum sog. Querulanten wurden (Vultejus, Die Kunst kein Querulant zu sein, Vorgänge 74, 1985, 36). Nur ganz wenige Juristen haben sich des Themas "Querulanz" angenommen. 
Rühmliche Ausnahme ist der Kriminologe Johannes Feest, der beschrieb, wie gleiches Verhalten - etwa eines Strafgefangenen und eines Verteidigers - im einen Falle als Querulanz (das mit 'Niederspritzen' enden kann) im anderen als Zeichen besonderer Kompetenz bewertet wird (Feest, Denis Pecic, Querulanz im Gefängnis, Vorgänge 74, 1985, 46).
 
Die Rechtssoziologie leistete unter Einfluß der 68-Zeit einiges aus der Perspektive der Rechtsuchenden. Hervorzuheben ist insbesondere Kaupen mit seinem Querulanten-Projekt: Die Psychiatrisierung unbequemer Parteien galt Kaupen als Abwehrstrategie der deutschen Justiz. Der Kaupen'sche systemkritische Blickwinkel wurde nach Kaupens Tod fallen gelassen und mündete in eine kontext- und damit sinnlose Sammelarbeit: Dinger/ Stein/ Koch: "Querulanz" aus der Sicht von Berufsgruppen des Justizsystems, R&P 1987, 126-133;  sowie Koch/Dinger-Broda, Querulatorisches Verhalten im Justizsystem aus Sicht betroffener Rechtssuchender, in: Empirische Rechtssoziologie, 2002, 251-267 (= GS für Kaupen). Dem gegenüber differenzierter und distanzierter jedoch Blankenburg, Der Querulant als soziale Konstruktion, in der Gedenkschrift für Kaupen

Nicht zu Unrecht beklagt Rasehorn den Niedergang systemkritischer Forschung (Zs. f. Rechtssoziologie 22 (2001), 281-291. Rasehorn stellte fest, daß es noch keine Soziologie der Justiz gibt und daß die Rechtssoziologie als Richtersoziologie entstanden ist. Rasehorns "Alternative" ist die Innenansicht aus der Perspektive des teilnehmenden Beobachters als Richter, der er war - mit unveränderter Fokussierung auf die Persönlichkeit seiner Richterkollegen sowie deren systemische Zwänge. Weitgehend ausklammert bleibt die Folgenorientierung, also die Perspektive des rechtsunterworfenen Bürgers, den die Justiz, wenn er sich nicht den Erwartungen angepaßt verhält, "als Eindringling" ansieht. Indem Rasehorn bei der Beschreibung des "Prozesshaften" auf den "Idealtypus des in der Verhandlung agierenden, dem Rechtssuchenden sich öffnenden Richters" kommt, zeigt er sein Defizit: Die Frage nach dem cui bono wird sich nicht ohne empirische Untersuchungen der Justizpraxis und ihrer Ergebnisse - und zwar losgelöst von der Person des Richters - beantworten lassen. (Rasehorn, Der Richter zwischen Tradition und Lebenswelt - Alternative Justizsoziologie, 1989, S. 18, 71, 102). Hierzu würde u. a. die statistische Erfassung der Fälle von Psychiatrisierungen in Gestalt richterlicher Zweifel an der Prozeßfähigkeit von Parteien zählen, um auf diesem Wege zur Aufdeckung lokaler Justiz-"Kulturen" zu gelangen.

Auch Rechtstatsachenforschung wurde nur selten betrieben, obwohl sie erstaunliche Ergebnisse zutage fördern konnte, siehe etwa die Dissertation von Hartmut Hilden, (Rechtstatsachen im Räumungsrechtsstreit, 1976), der nachweisen konnte, daß Richter, die ein Eigenheim besaßen, weit rigoroser Räumungsklagen gegen Mieter stattgaben, als Richter, die selber zur Miete wohnten, dazu SPIEGEL vom  1.11.76.

Die Rechtspsychologie, genauer: die Richterpsychologie, schließlich untersuchte zwar auch die Urteilsbildung (Beispiel) beim Richter sowie das Aussageverhalten von Zeugen. Ausweislich der Programme der DGP, sind dies allerdings völlig periphere Zielrichtungen. Der Schwerpunkt der DGP im Bereich Forensik liegt im Strafverfahren. 

Die Interaktionsprozesse in Zivilverfahren, hier insbesondere in Verbindung mit Familienrecht, blieben bislang weithin unbeforscht. Der Zivilprozeß und insbesondere die Zivilprozeßordnung bot Psychologen wenig Spannendes und noch weniger Felder, in denen Geld zu verdienen war, so bedeutungsvoll für den rechtsuchenden Bürger die Interaktionsprozesse, bei denen Vorurteile und autoritäre Selbstgerechtigkeit maßgeblich das Ergebnis eines Zivilprozesses beeinflussen, auch sein mögen. Eine thematische Zusammefassung dieser Desiderate liefert Ploeger

Innerhalb des Rechtsstabes sowie weiterer Organe der Rechtspflege findet sich kaum Selbstreflektion. Medien, Presse und Fernsehen, interessieren sich naturgemäß für das Spektakuläre, d. h. die sichtbare, nicht die strukturelle Gewaltausübung. 

Querulanten-Abwehr.
Umso geringer ist die Hemmung, lästige Parteien mittels des § 56 ZPO unter der Gürtellinie anzugreifen und "Zweifel" an der Prozeßfähigkeit zu hegen, was leicht fällt, solange hier keine Kontrolle stattfindet. Die Erhebung von "Zweifeln" an der Prozeßfähigkeit bedeutet Psychiatrisierung und ist ein aggressiver Akt. Der Aggressor entlastet und erhebt sich über den anderen. Für den Richter gilt im besonderen: Aggession nicht begründen zu müssen, ist Ausfluß des Machtgefälles. Dabei währe es die vornehmste Pflicht jeden Richters, bemüht zu sein, fremde und v. a. eigene Fehler und Fehleinschätzungen zu erkennen und zu korrigieren. 

Doch welcher Richter behält im Hinterkopf, daß seine Macht geliehene Macht ist, und daß äußere Abhängigkeiten beim "Standes der Unabhängigen" (Tucholsky) zu innerer Abhängigkeit - dies zeigt der sog. "Schulterschlußeffekt" - führen kann? Symptomatisch für die Resilienz gegenüber eigenen Fehleinschätzungen, die nicht selten auf Ignoranz und Vorurteil beruhen ist das richterliche Verhalten in Fällen aufgedeckter (strafrechtlicher) Fehlurteile: in den allerseltensten Fällen entschuldigen sich die verantwortlichen Richter bei den Opfern. 

Dabei sind Fehlurteile in der bundesdeutschen Rechtsprechung keineswegs selten: der Fälle sind viele - und zwar nicht allein in der Strafrechtsprechung. Wiederaufnahmeanträge haben dort zu selten Erfolg (die deutsche Justiz darf nicht irren ... ) und in der BRD fehlt, wie Strate richtig konstatierte, ein innocence-Projekt

Wesentlicher Grund für die Ignoranz der Justizjuristen gegenüber Fehlurteilen ist das sog. Richterprivileg. Es liegt also nicht am fehlenden Geld, wie Richter Heinrich Gehrke in der Talkshow Anne Wills in Sachen Harry Wörz am 29.1.2014 beklagte, sondern in der mangelnden Bereitschaft aller Systemkomponenten zur 'Fehler-Kontrolle' (Däubler-Gmelin). Bosbach sprach von "Systemversagen" und zielte auf das völlige Versagen der Staatsanwaltschaft im Falle Wörz in Bezug auf die Kontrolle der Polizeiermittlungen. Wörz Kommentar dazu, daß eben dieser Staatsanwalt auch noch befördert wurde, verhallte unbeantwortet im Expertenkreis, ebenso der Wunsch des Justizopfers Wörz, daß sich das System um den wahren Täter kümmern solle. 

Der Fall des Harry Wörz weist auf folgende Gefahren-Parallele in Zusammenhang mit unserem Thema hin: 
So wie im Falle Wörz die Polizei unmittelbar involviert  war - Tatopfer und möglicher Täter waren Angehörige der örtlichen Polizei -  und daher die erforderliche Objektivität bei der Ermittlungsarbeit vermissen ließ, so besteht analog die latente Gefahr, daß ein vom Gericht beauftragter und 'geleiteter' psychiatrischer Sachverständige bei der Begutachtung des Geisteszustandes einer dem Gericht unbequemen Partei, gegenüber dem Probanden voreingestellt ist (Schulterschlußeffekt).

Der Fall des Horst Arnold, tragisches Opfer einer "Femokratie" weist auf einen beunruhigenden Zustand bestimmter Justizzweige hin, etwa den, daß es Familiengerichte gibt, die völlständig (so zeitweise in Heidelberg) oder weit überwiegend in weiblicher Hand liegen. Gerade in diesem am stärksten geschechterbezogenen Feld müßte Geschlechterparität angestrebt werden.

Zum Fall Mollath plädierte der Vorsitzende des Bayerischen Richterverein in der Deutschen Richterzeitung O1/2013, Seite 21: "Eine verfassungsrechtliche Selbstverständlichkeit ist festzuhalten: ... " 
Niemand hat bezweifelt, daß die rechtsprechende Gewalt den Richtern übertragen wurde, die "nach bestem Wissen und Gewissen" zu urteilen haben. Vor den Urteil steht allerdings die Beweisaufnahme, die das Urteil weithin bestimmt und das erforderliche "beste Wissen", von Gewissen ganz zu schweigen. Als Grund für die Fehlleistung der Justiz im Falle Mollath sieht der Funktionär den "Fehlbestand an Richtern und Staatsanwälten" - ein Grund für den "kurzen Prozeß" im Mollath-Fall? 

In der gleichen Richterzeitung äußert sich Heribert Prantl in seinem Gastkommentar: "Existentielle Eingriffe erfordern existentielle Sorgfalt."
Noch wohltuender der BGH-Richter und STGB-Kommentator Thomas Fischer zum Mollath-"Skandal" in ZEIT-ONLINE. Freilich genießt Fischer den Ruf eines Enfant terrible, schon weil er, für Richter eher seltend, die Öffentlichkeit liebt. 

Die Richterzeitung sollte doch einmal den strukturellen Größenwahn, der nicht wenige Richter beseelt, thematisieren. Bislang lehnen sich nur wenige Justizjuristen aus dem Fenster, i.d.R. erst dann, wenn sie dem Mäßigungsgebot entraten sind und sich zum Autor berufen fühlten, Beispiel: 




Anmerkungen:

1 Die politische Leerformel "Rechtsstaat" existiert in keiner anderen Sprache. 'Zu Recht' fragt K.H. Bohrer (Neue Rundschau, 1968, 340, 343) "wie rechts ist dieser Staat?"

 in gleicher Sache (Kindes(not)unterhalt) sammelte er beim italienischen Gericht (Sansepolcro) hervorragende, beim deutschen Gericht (AG Heidelberg) nachgerade erschreckende Erfahrungen: der Familienrichter Dr. H. (als Erfüllungsgehilfe seines Vizepräsidenten) psychiatrisierte des Vater (=Vf.), 

Im Strafrecht agieren auf Seiten des Staates immerhin zwei Akteure - Staatsanwalt und Richter - anders als im Zivilverfahren, wo der Richter als sog. "unbeteiligter Dritter" agieren soll, geht es doch um den Interessenausgleich zwischen zwei Parteien.  

4 siehe: Erika Dingeldey, Unpolitische Justiz, 1971


6 wie sehr die Zunft der organisierten Richter selbstkritische Regungen verfolgt mißbilligt, zeigt der offene Brief des Vorsitzenden des Bayerischen Richtervereins an einen kritischen Rechtswissenschaftler, hier Prof. Müller, in Zusammenhang mit der Mollath-Affäre: 
Einigermaßen absurd ist, daß der gleiche Richtervereinsfunktionär zwar (zu Recht) für die Unabhängigkeit der Justiz von der Politik plädiert, zugleich aber fordert, daß ein  - auch noch so falscher - Richterspruch im Namen des Volkes unbeeinflußt von "Volkes Meinung" zu bleiben hat.  

7 W. Kaupen (Die Hüter..., S. 167f) erwähnt, daß 1961 immerhin 12% (Durchschnitt: 7%) aller männlichen Jura-Studenten in Köln Mitglied einer schlagenden Verbindung waren.
 



Links:

zum Fall Horst Arnold: 

Zum Urteil gegen Heidi K. (= Heidi Külzer) im Falle Arnold: 
Kommentar zum Fall Arnold:  

Fall Harry Wörz:  

weitere Fälle:


zur Abhängigkeit siehe  N. Schlepp: http://www.are-org.de/are/files/N.%20Schlepp..pdf .
zu Richtervereinen: http://www.richterverein.de




Literatur:
- Karl Kübler, Der deutsche Richter und das demokratische Gesetz. AcP 1963, 104-128
- Wolfgang Kaupen, Die Hüter von Recht und Ordnung, 1969
- Ludwig Bendix, Zur Psychologie der Urteilstätigkeit des Berufsrichters, 1967
- Hans Albrecht Hesse, Experte, Laie, Dilettant, 1998 (vergr.) 
- Egon Schneider, Der Niedergang des Rechtsstaates, in: FS f. Christian Richter II, 2006, 465-480
- Karl Peters, Fehlerquellen im Strafprozeß. Eine Untersuchung der Wiederaufnahmeverfahren in der BRD: 3 Bde., 1970-74